Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat mit Beschluss vom 19. März 2024 (Az.: Ws 188/24) entschieden, dass ein Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO nicht ohne vorherige Anordnung der Vorführung erlassen werden darf. Damit stellt das Gericht klar, dass zwischen diesen beiden Zwangsmitteln ein Stufenverhältnis besteht und zunächst das mildere Mittel zu wählen ist.

Unterschied zwischen Haftbefehl nach § 230 StPO und § 112 StPO

Ein Haftbefehl nach § 230 StPO wird ausschließlich zur Erzwingung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung angeordnet. Die Voraussetzungen hierfür sind:

  • Der Angeklagte bleibt der Hauptverhandlung unentschuldigt fern.
  • Er wurde zuvor ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen des Nichterscheinens hingewiesen.
  • Es liegt kein ausreichender Grund für sein Ausbleiben vor.

Diese Form des Haftbefehls unterscheidet sich grundlegend vom Untersuchungshaftbefehl nach § 112 StPO, der nur bei dringendem Tatverdacht und Vorliegen eines Haftgrundes wie Flucht, Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr erlassen wird. Während der Haftbefehl nach § 112 StPO der Sicherung des Strafverfahrens dient, verfolgt der Haftbefehl nach § 230 StPO lediglich das Ziel, die Anwesenheit des Angeklagten zu gewährleisten.

Sachverhalt & Entscheidung des OLG Nürnberg

Im vorliegenden Fall erschien der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Hauptverhandlung. Daraufhin erließ das Amtsgericht einen Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO, ohne zuvor eine Vorführungsanordnung gemäß § 230 Abs. 1 StPO erlassen zu haben.

Das OLG Nürnberg hob den Haftbefehl auf und stellte fest, dass der Erlass eines Haftbefehls unverhältnismäßig war, da zunächst die mildere Maßnahme der Vorführung hätte angeordnet werden müssen. Das Gericht betonte, dass die Verhältnismäßigkeit im Strafverfahren stets gewahrt werden müsse. Nur in Ausnahmefällen ist der sofortige Erlass eines Haftbefehls zulässig, etwa wenn feststeht, dass der Angeklagte auf keinen Fall erscheinen will oder die Vorführung wahrscheinlich deshalb aussichtslos sein wird, weil der Aufenthaltsort des Angeklagten unbekannt ist oder die begründete Sorge besteht, dass der Angeklagte vor einer Vorführung untertauchen wird.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier.

Bedeutung für die Praxis

Diese Entscheidung unterstreicht die Pflichten der Gerichte, bei Nichterscheinen eines Angeklagten zunächst die Vorführung gemäß § 230 Abs. 1 StPO anzuordnen, bevor auf die schärfere Maßnahme des Haftbefehls zurückgegriffen wird.

Für Beschuldigte ist es wichtig zu wissen, dass ein Haftbefehl nach § 230 StPO nicht automatisch erlassen werden darf. In vielen Fällen bestehen Erfolgsaussichten, sich gegen eine Inhaftierung zu wehren.

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