Untersuchungshaft
Ihr Rechtsanwalt & Fachanwalt für Strafrecht in Krefeld
Die Anordnung der Untersuchungshaft ist der schärfste Eingriff des Staates in das Leben des Beschuldigten. Neben dem Verlust der persönlichen Freiheit treten dabei sehr viele Nebenwirkungen hervor, die den Beschuldigten weit über die Haftzeit hinaus belasten.
Im Regelfall ereilt die Festnahme und darauffolgende Untersuchungshaft für den Betroffenen unvorbereitet, im Gegensatz zur Strafhaft kann er seine Angelegenheiten also nicht mehr ordnen und wird von einer Minute auf die andere komplett blockiert.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft sind in § 112 ff. StPO geregelt. In der Praxis kommt der Erlass eines Haftbefehls täglich vielfach vor.
Es gibt hierzu unterschiedlichste Konstellationen. Am häufigsten dürfte man auf Fälle treffen, innerhalb derer ein Tatverdächtiger einer nicht unerheblichen Straftat ermittelt wird, die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehles stellt, dieser vom Haftrichter erlassen und dann durch die Polizei vollstreckt wird.
Alternativ dazu kann auch eine Festnahme durch die Polizei erfolgen, obwohl es noch keinen Haftbefehl gibt. Die Staatsanwaltschaft überprüft sodann, ob aus Ihrer Sicht die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehles vorliegen, und stellt einen entsprechenden Antrag beim Haftrichter.
In beiden Fällen führt der Weg nach der Festnahme zum Haftrichter, wobei in diesem Termin die Voraussetzungen für den Erlass und Vollzug des Haftbefehls geprüft und erörtert werden.
Kommt der Haftrichter zum Ergebnis, dass die nötigen Voraussetzungen vorliegen, dann wird der Haftbefehl in Vollzug gesetzt und der Beschuldigte in die JVA verbracht. Fehlt es an einer Voraussetzung, oder existieren mildere Mittel als der Vollzug der Untersuchungshaft, dann wird der Beschuldigte aus dem Termin gegebenenfalls unter Auflagen in die Freiheit entlassen.
Da es sich um einen so schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit handelt, ist die Anwesenheit eines Rechtsanwalts in diesen Terminen zwingend vorgeschrieben: Es liegt ein Fall der sogenannten notwendigen Verteidigung gemäß 140 StPO vor.
Gegen die Anordnung der Untersuchungshaft gibt es den Rechtsbehelf der Haftprüfung oder der Haftbeschwerde.
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Tim Cörper
Rechtsanwalt
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Dem Gesetz folgend, darf eine Untersuchungshaft nur angeordnet bzw. aufrechterhalten werden, wenn
1. ein auf Tatsachen beruhender dringender Tatverdacht besteht:
Eine Legaldefinition für dringenden Tatverdacht besteht im Gesetzestext nicht. Der Verdachtsgrad muss aber in jedem Falle höher sein als der des hinreichenden Tatverdachtes im Sinne des §§ 203 StPO. Dieser setzt eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung als einen Freispruch voraus. Andererseits ist eine Überzeugung von der Schuld des Beschuldigten, wie sie für eine Verurteilung erforderlich ist, nicht notwendig.
Zusammenfassend heißt das, dass eine erhebliche bzw. große oder hohe Wahrscheinlichkeit bestehen muss, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer der ihm vorgeworfenen Straftat ist.
2. aufgrund bestimmter Tatsachen ein Haftgrund vorliegt:
Für die Anordnung einer Haftstrafe können auch bestimmte Begründungen angeführt werden. Als Haftgründe kommen insb. in Betracht:
a) Flucht
b) Fluchtgefahr
c) Verdunkelungsgefahr
d) Tatschwere
e) Wiederholungsgefahr
3. die Haft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht außer Verhältnis steht, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur bei der Anordnung der Untersuchungshaft, sondern auch bei der Entscheidung, ob die Haftgründe den Vollzug der Haft erfordern, und bei der Dauer der Aufrechterhaltung des Haftbefehls zu beachten sind.
Erst wenn alle drei Voraussetzungen (kumulativ) vorliegen, ist ein Erlass und Vollzug des Haftbefehles möglich.
Der statistisch häufigste Haftgrund ist die Annahme von Fluchtgefahr. In der Fachliteratur wird dieser in ca. 80% der Fälle zur Konstruktion des Haftbefehls genutzt.
Fluchtgefahr bedeutet, dass aus Sicht des Gerichtes bei Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Sinne einer hohen Wahrscheinlichkeit die Gefahr bestehen muss, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen wird.
Anhaltspunkte dafür sind insb. die folgenden Parameter:
- Ausländerrechtlicher Status
- Arbeits- und Berufssituation
- Auslandsverbindungen
- Fluchtvorbereitungen
- Eigentums- und Vermögensverhältnisse
- Möglicher Bewährungswiderruf in anderer Sache
- Persönlichkeit des Beschuldigten
- Soziale Bindungen, also etwa Ehe oder Familie
- Betäubungsmittelabhängigkeit
- Straferwartung
- Wohnsituation
Diese Umstände sagen für sich allein betrachtet nichts aus, sondern müssen vielmehr in eine Gesamtbetrachtung und Abwägung einbezogen werden. Häufig zu finden ist insbesondere die Begründung, dass die hohe Straferwartung eine Fluchtgefahr indiziere. Das entspricht jedoch nicht der obergerichtlichen Rechtsprechung. Zutreffend ist vielmehr, dass auch dann tatsächliche Umstände hinzukommen müssen, um eine Fluchtgefahr annehmen zu können.
Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr setzt voraus, dass bestimmte Tatsachen den dringenden Verdacht begründen, der Beschuldigte werde durch aktive Handlungen eine Aufklärung der Straftat zu vereiteln versuchen und dadurch die Ermittlungen tatsächlich erschweren.
Das Gesetz formuliert die Varianten in §112 Abs. 2 Nr. 3 StPO wie folgt:
Ein Haftgrund besteht, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringende Tatverdacht begründet, der Beschuldigte werde
- Beweismittel vernichten, verändern, beiseiteschaffen, unterdrücken oder fälschen oder
- auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
- andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
Es soll dadurch die Einwirkung auf sachliche Beweismittel oder Zeugen unterbunden werden. Klassisches Beispiel wäre z.B. die Bedrohung von Zeugen und der Versuch, auf die Aussagebereitschaft einzuwirken.
Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß §112a StPO setzt neben dem dringenden Tatverdacht einer Katalogtat voraus, dass bestimmte Tatsachen vorliegen, aufgrund derer die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte vor oder während einer Hauptverhandlung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftaten fortsetzen würde. Daneben muss die Haft zur Abwendung dieser Gefahr erforderlich sein.
Als Katalogtaten sieht das Gesetz vor:
- eine Straftat nach den §§ 174, 174a, 176bis 176d, 177, 178, 184b Absatz 2 oder nach § 238 2 und 3 des Strafgesetzbuches oder
- wiederholt oder fortsetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat nach den §§ 89a, 89cAbsatz 1 bis 4, nach § 125a, nach den §§ 224 bis 227, nach den §§ 243, 244, 249 bis 255, 260, nach § 263, nach den §§ 306 bis 306c oder § 316a des Strafgesetzbuches oder nach § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 10 oder Abs. 3, § 29a 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes oder nach § 4 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe a des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes
Bei dem dringenden Tatverdacht einer Straftat nach Nummer 1, also dem sexuellen Missbrauch von Kindern in unterschiedlichster Ausgestaltung, sowie sexueller Nötigung (Vergewaltigung) und Kinderpornografie reicht schon die einmalige Tatbegehung aus.
Daraus kann und darf aber kein Automatismus geschlossen werden, dass immer der Haftgrund der Wiederholungsgefahr vorliegt. Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalles an.
In eine Prognose werden immer Punkte wie potentielle Tatgelegenheiten, aber auch zeitliche Abstände zu den Anlasstaten (bei Straftaten nach Nummer 2) einzustellen sein.
Der Haftgrund der besonderen Tatschwere ist in §112 Abs. 3 StPO geregelt. Dort heißt es:
Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
Erfasst sind also im Kern die Fälle von Schwerkriminalität, insb. Tötungsdelikte, besonders schwere Brandstiftung, sowie schwerer sexueller Missbrauch von Kindern.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung dahingehend konkretisiert, dass der dringende Tatverdacht der Katalogtat alleine nicht zur Anordnung der Untersuchungshaft ausreicht. Es müsse vielmehr ein weiterer Haftgrund des §§ 112 Abs. 2 StPO gegeben sein, wenngleich dieser sich auch nicht auf bestimmte Tatsachen stützen müsse. Man wird wohl formulieren müssen, dass beim Vorliegen einer Katalogtat nach den Umständen des Einzelfalls eine widerlegbare Vermutung dafürsprechen soll, dass Flucht oder Verdunkelungsgefahr besteht.
In der Praxis ist beim Vorliegen einer Katalogtat die Anordnung der Untersuchungshaft üblich.
Die Strafprozessordnung sieht mehrere Möglichkeiten vor, gegen einen Haftbefehl vorzugehen. Eine pauschale Empfehlung hierfür gibt es nicht, dies hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab, und diese müssen sorgfältig geprüft werden.
In Grundsatz hat der Beschuldigte nach Erlass und Vollzug des Haftbefehles die Möglichkeit, eine Kontrollentscheidung durch Stellung eines Antrages auf Haftprüfung oder durch eine Beschwerde gegen den Haftbefehl herbeizuführen.
Gemäß § 117 StPO kann der in Untersuchungshaft befindliche Beschuldigte jederzeit die gerichtliche Prüfung beantragen, ob der Haftbefehl aufzuheben oder dessen Vollzug nach § 116 auszusetzen ist.
Ein solcher Antrag auf Durchführung einer (mündlichen) Haftprüfung führt dazu, dass ein Termin beim Haftrichter oder beim Tatsachengericht anberaumt wird, innerhalb dessen noch einmal die Voraussetzungen für die Durchführung der Untersuchungshaft geprüft werden. Diese Voraussetzungen entsprechen denen, die beim Erlass des Haftbefehles zu berücksichtigen waren, also dringender Tatverdacht, Haftgrund und Verhältnismäßigkeit des Vollzuges.
Die Haftprüfung wird dann erfolgreich sein, wenn neue Tatsachen vorliegen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehles noch nicht bekannt waren. Dies kann sowohl auf der Ebene des Sachverhaltes liegen, aber auch im Bereich der Persönlichkeit bzw. der sozialen Bindungen des Beschuldigten.
Als Beispiel ist etwa der Fall eines bisher bestreitenden Beschuldigten zu nennen, der im Haftprüfungstermin ein Geständnis ablegt. Daraus kann im Einzelfall ein reduzierter Fluchtanreiz geschlossen werden. Auch, wenn der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Haftprüfung einen Wohnsitz angeben kann, kann der ursprüngliche Haftgrund entfallen.
Nach Vorbringen dieser Argumente wird der Richter erneut über die Voraussetzungen für den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden. Er kann dies entweder unmittelbar vor Ort tun, oder aber auch im Anschluss im schriftlichen Verfahren durch Beschluss.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber die Regelung des §§ 118 Abs. 3 stopp: Ergeht eine negative Entscheidung des Haftrichters, so tritt eine Sperrfrist von zwei Monaten ein. Diese Sperre kann dadurch umgangen werden, dass bei offensichtlicher Negativentscheidung der Antrag auf Durchführung der Haftprüfung noch im Termin zurückgenommen wird.
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