Verletzung des Anwesenheitsrechts bei erneuter Zeugenvernehmung
Worum geht es?
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 9. Juli 2025 (Az.: 3 StR 194/25) ein Urteil des Landgerichts Mönchengladbach aufgehoben, weil der Angeklagte bei der erneuten Vernehmung der Nebenklägerin nicht anwesend war – ohne dass ein erneuter gerichtlicher Beschluss nach § 247 Satz 2 StPO vorlag.
Rechtlicher Hintergrund: § 247 StPO
Gemäß § 247 Satz 2 StPO kann das Gericht den Angeklagten während der Vernehmung eines Zeugen aus dem Sitzungssaal entfernen, wenn bei Anwesenheit des Angeklagten ein schwerwiegender Nachteil für das Wohl des Zeugen zu erwarten ist.
Diese Maßnahme ist ein erheblicher Eingriff in das Recht des Angeklagten auf Anwesenheit und Verteidigung (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK). Deshalb muss die Anordnung immer durch einen Kammerbeschluss erfolgen und darf nicht durch den Vorsitzenden allein getroffen oder verlängert werden.
Was war im konkreten Fall passiert?
In der ersten Hauptverhandlung wurde der Angeklagte auf Antrag der Nebenklagevertretung ordnungsgemäß aus dem Sitzungssaal entfernt, um die Nebenklägerin zu vernehmen. Diese Vernehmung endete und die Zeugin wurde entlassen.
Später wurde sie erneut geladen und in Abwesenheit des Angeklagten nochmals vernommen – ohne dass hierfür ein neuer gerichtlicher Beschluss gefasst wurde. Der Vorsitzende berief sich lediglich auf den ursprünglichen Kammerbeschluss.
Die Entscheidung des BGH
Der Bundesgerichtshof stellte klar:
-
Die ursprüngliche Vernehmung war mit der Entlassung der Zeugin prozessual abgeschlossen.
-
Eine erneute Vernehmung stellt ein neues Verfahrensstadium dar, das einen eigenständigen gerichtlichen Beschluss nach § 247 StPO erfordert.
-
Auch wenn die Beteiligten mit der Abwesenheit des Angeklagten einverstanden waren, kann das Anwesenheitsrecht nicht durch Verzicht ausgehebelt werden.
-
Die Bezugnahme auf einen früheren Beschluss genügt nicht – insbesondere dann nicht, wenn die ursprüngliche Anordnung auf eine andere Rechtsgrundlage (niedrigere Schwelle des Nachteils) gestützt wurde als für die spätere Vernehmung erforderlich gewesen wäre.
Folge: Das Urteil wurde vollständig aufgehoben und an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung unterstreicht die hohe prozessuale Bedeutung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten. Wird ein Zeuge erneut vernommen, bedarf es stets eines neuen Beschlusses der Kammer, der die Voraussetzungen des § 247 Satz 2 StPO erfüllt und nachvollziehbar begründet ist.
Diese Rechtsprechung ist vor allem für Verteidiger, Nebenklagevertreter und Strafgerichte von großer Bedeutung – insbesondere bei Verfahren im Bereich des Sexualstrafrechts, wo Schutzinteressen der Zeugen und die Rechte der Beschuldigten häufig kollidieren.
Ansprechpartner für Strafrecht
Rechtsanwalt Tim Cörper
Fachanwalt für Strafrecht & Steuerrecht
Rechtsanwalt Jens Ophey
Fachanwalt für Strafrecht & Steuerrecht
Pauls | Cörper Rechtsanwälte PartG mbB
Friedrichstraße 17
47798 Krefeld
Telefon: 02151 / 5698000
E-Mail: info@pauls-coerper.de