Bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation sind besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen.

So lauten die Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits seit vielen Jahren. Angesichts der Zahl der erfolgreichen Revisionen ist jedoch klar erkennbar, dass diese Maxime in den Prozessen noch nicht ausreichend Berücksichtigung findet. Das ist auch der Eindruck aus unserer Kanzlei, konkret scheint hier eine deutliche Differenzierung anhand der einzelnen Richterpersönlichkeiten geboten.

„Der Tatrichter muss in derartigen Fällen den entscheidenden Teil der verschiedenen Aussagen des Belastungszeugen, auch solchen, die im Ermittlungsverfahren erfolgt sind, im Urteil wiedergeben, weil dem Revisionsgericht sonst die rechtliche Überprüfung der für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit relevanten Aussagekonstanz nicht möglich ist. Dies gilt vor allem, soweit es um die Schilderung von Details zum Kerngeschehen geht und auch die Plausibilität der Zeugenaussage hiervon abhängt.“ so das BayObLG (Beschluss vom 12.07.2021 – 202 StRR 76/21).

Es ist durchaus beachtlich, dass diese Selbstverständlichkeit noch einmal herausgehoben werden muss.

Zur Verdeutlichung: Der Großteil der Fälle aus dem Sexualstrafrecht („Vergewaltigung“) spielt sich im Regelfall zwischen sozial agierenden Partnern ab. Die Fälle der „Fremdvergewaltigung“ durch einen Unbekannten, der plötzlich hinter einer Hecke hervorspringt, dürfte nach der Literatur bei unter 5 % liegen. Nach der hiesigen forensische Erfahrung dürfte der Wert deutlich unter 5% anzusetzen sein.

Oft kann man die Ausgangslage so zusammenfassen, dass es unstreitig zu einem Sexualkontakt gekommen ist, lediglich die Frage der Freiwilligkeit streitig ist.

Das engt den Raum für objektive Beweismittel deutlich ein – DNA oder Faserspuren beispielsweise verlieren im Regelfall die Beweiskraft, da der Kontakt als solches ohnehin feststeht.

Die Frage der Einwilligung hingegen ist objektiv nahezu nicht nachzuvollziehen, da diese in der Lebenswirklichkeit zumeist konkludent erklärt, aber natürlich nicht schriftlich fixiert wird.

An dieser Stelle wird das o.g. Problem virulent. Das Gericht sieht sich der Aufgabe gegenüber, anhand der Aussagen der beiden Beteiligten zu entscheiden, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass einer Aussage ein höheres Gewicht beigemessen werden kann, als dem der anderen Aussage. Leider entscheidet hier oftmals offensichtlich das Bauchgefühl des Gerichts. Zwar gibt es die Disziplin der Aussagepsychologie, die versucht objektive Kriterien innerhalb der Aussage herauszuarbeiten und zu werten, allerdings setzt dies eine erhebliche Sachkunde voraus, die weit über die reguläre Erfahrung des Richters zur Beurteilung einer Zeugenaussage hinausgehen kann, etwa beim vorliegen besonderer Umstände wie etwa Vorerkrankungen.

Gleichwohl – so der BGH in ständiger Rechtsprechung – bleibt die Würdigung der Zeugenaussage die ureigenste Aufgabe des Tatgerichts, und billigt dem Richter einen weiten Entscheidungsspielraum zu,

Gerade deshalb muss es aber der Rechtsmittelinstanz möglich sein zu überprüfen, ob das Gericht sich noch innerhalb dieses Spielraums bewegt hat, und ob die Schlussfolgerungen zumindest nicht widersprüchlich sind.

Das Gericht hat im vorliegenden Fall zutreffend folgendes beanstandet:

„Die Wertung des Tatrichters, der Belastungszeuge habe „ohne Übertreibungen ausgesagt“, stellt einen Zirkelschluss dar, wenn der Tathergang mangels anderer Beweismittel allein aufgrund des Inhalts der Aussage dieses Zeugen festgestellt wurde“. Denn klar ist, dass der Richter diese Feststellung in der vorliegenden Beweissituation überhaupt nicht treffen kann.

Interessant ist aber auch die folgende Erwägung:

„Zwar ist es nicht von vornherein unzulässig, aus einer Lüge des Angeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse zu ziehen. Allerdings muss sich der Tatrichter bewusst sein, dass der Widerlegung einer Einlassung nur ein begrenzter Beweiswert zukommt, weil auch ein Unschuldiger, wenn er befürchtet, er könnte zu Unrecht verurteilt werden, gegebenenfalls die Zuflucht zur Lüge nehmen kann.“

Es handelt sich dabei um eine Überlegung die im praktischen Justizalltag nie angeführt wird. Der Angeklagte hat das Recht zur Lüge, und die Tatsache, dass er von diesem Recht gebrauch macht ist entgegen der weit verbreiteten Auffassung des Gerichts gerade kein Beleg für seine Schuld. Vielmehr bedient sich der Angeklagte eines erlaubten und legitimen Verteidigungsmittels.

Die Entscheidung macht klar, wie dünn das Eis der Wahrheitsfindung in diesen Fällen ist. Leider – so der Eindruck von uns – kommt es hier auch oft zu Fehlentscheidungen, sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Wir würden uns wünschen, dass hier eine noch höhere Sensibilität geschaffen wird, und insb. das Bauchgefühl bei der Urteilsfindung nicht mehr das leitende Instrument darstellt. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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